Biografie von Maria Lauber

Lebenslauf von Maria Lauber selbst geschrieben 1964

An der sonnigen Talseite zwischen dem Dorf Frutigen und den Spissen, an Prasten, bin ich am 25. August 1891 geboren als fünftes Kind einer Bergbauerfamilie. Krankheit in der Stube, Unglück im Stall warfen wohl ihre Schatten auf unsern Arbeitstag, aber sie vermochten nicht, das Glück meines jungen Lebens ernstlich zu trüben. Die Zeit meiner vorschulpflichtigen Tage kommt mir heute noch vor als eine wahrhaft paradiesische Zeit, aus der blühende Matten und das gütige Lächeln einer Mutter ihr Licht gaben über ein ganzes Leben und noch geben. Die Schulpflicht brachte schon ihre Aufgaben, ihren kleinen Kummer und ihre Sorgen, aber ein guter Schulmeister war unserer Jugend zum Hüter und Helfer gegeben. Die Sekundarschule im Dorf, die ich während meiner letzten Schuljahre besuchte, entzog mich zeitweilig der schweren bäuerlichen Arbeit, die oft fast über meine Kräfte ging, hielt mich aber auch mehr als mir lieb war, der heimatlichen Stubenwärme fern. Da ich nun in das städtische Seminar Muristalden eintrat, hielten sich in meiner Seele vor allem zwei Mächte die Waage: einerseits Lust und Drang, zu lernen, immer mehr Neues und Wundersames aus der Welt zu erfahren, andererseits ein quälendes Heimweh nach der entschwundenen Welt meiner Kindertage.

 

Dann trat ich ins Leben hinaus, nach eigenem Plan und mit eigener Verantwortung. Nach Vertretungen in den gemischten Schulen Stiegelschwand bei Adelboden und Neuligen bei Eriswil (mit 50 Schülern) wurde ich an die Gesamtschule Oberried bei Lenk gewählt. Hier am amtierte ich dreizehn Jahre, um dann den Rest meiner Schullehrzeit, 28 Jahre, an der Unterschule in Kien bei Reichenbach zu verbringen.

 

Ich habe es nie bereut, den Beruf einer Lehrerin gewählt zu haben. Bis zum letzten Monat, da ich in meiner Schulstube stand, war mir Lehren und Erziehen Freude. Oft arbeitete ich mit fast leidenschaftlichem Eifer. Aber ich erlebte nicht nur alle Mühe und Plage, die das Amt des Lehrers mit sich bringt, sondern auch alle Bitternis, die eine gewisse Lebensfremdheit einem Schulmeister bringen kann.

 

Wer Schule sagt, denkt auch Ferien. Meine ersten während der Lehrerinnenzeit verbrachte ich auf den väterlichen Gütlein, dann nach dem frühen Tod meiner Eltern und dem Wegzug meines Bruder als Aushülfe in den Hotels an der Lenk. Manchmal unternahm ich auch kleinere Reisen; d.h. für die damalige Zeit und für meine Verhältnisse waren es gar nicht kleine. Mit meinem treuen Gummipferdchen durchzog ich unser Land von Ost nach West, von Süd nach Nord. Ich radelte durchs Wallis, durchs Bündnerland, durchquerte den Jura, Thurgau und Tessin und fuhr durchs Veltlin. Über manche Pässe bin ich gefahren, einmal habe ich mein Rad über den Strela fast mehr getragen als neben mir her geschoben. Wanderungen in unsren Bergweiden und Skifahrten füllten manchen meiner Sonntage. – Im Ausland war ich nicht oft. Immer trieb mich das Heimweh früher als mir lieb war, zurück nach Hause. Einmal mit dem Rad den Rhein entlang abwärts durch Holland, Belgien, Nordfrankreich, dann mit dem Zug und Auto: Paris, Normandie, Tirol, Schwarzwald, immer wie auf der Flucht.

 

Denn Heimweh oder „die stille Grundtrauer“, wie Gottfried Keller sagt, war lebenslang mein Teil. Ich glaube, Heimweh war es auch, das mich nach der Feder greifen hiess. Wenn ich von der Sonnseite erzählte, so lebte ich ja in Gedanken dort oben, in meinem Jugendland. Schulnöte und –kümmernisse blieben zurück, wenn ich bei der stillen Lampe gleichsam allein war mit denen, die mir einst Weggefährten waren und deren Sein und Erleben mir der Darstellung wert schienen.

 

Dankbar gedenke ich derer, die durch Kritik und aufmunternde Worte, durch Ratschläge und Hinweise mir in meinen literarischen Arbeiten aushalfen: Herrn Prof. O. von Greyerz und Otto Müllers, des Präsidenten des Vereins zur Förderung bernischen Schrifttums.

 

Nun bin ich eine alte Frau, habe mich hinter mein Heimatdort zurückgezogen, und wenn ich mein Leben überdenke, so glaube ich, dass alles gut war, wie es war. Ich glaube an göttliche Führung.

 

13.4.64  Maria Lauber